2021-09-20 22:30

HSG Oberalster/Farmsen - FC St. Pauli 5 22:16 (8:10)

18.9.2021, 14:00, Hermelinweg

Zusammensein ist ein toller Ort

Bruno klatschte ein Päckchen vom Metzger auf den Tisch, faltete das Papier auseinander und betrachtete schweigend den Inhalt. Er entnahm dem Päckchen einige dick geschnittene Scheiben durchwachsenen Speck und legte sie auf das Schneidebrett.
„Diese weißlichen Ausblühungen da um die Schwarte rum schneidest du großzügig ab. Aber nicht zu großzügig. Und an den Enden auch – besonders, wo die Ausblühungen farbig sind. Kleinere Flecken zwischendrin kannst du einfach wegwischen. Aber mach hinterher das Messer sauber und dreh das Brett um. Und wasch dir die Hände.“
„Und dann?“ fragte ich. „Dann machst du da kleine leckere Würfel draus. Wird schon reichen.“
Ich kratzte ein bißchen was von den „Ausblühungen“ weg. Die nicht-weißen Anteile des Specks waren von einem fahlen Grau. An einigen Stellen schillerten sie wie eine Ölpfütze oder eine fette Fliege. Ich drückte mit dem Finger drauf. Die Delle ging langsam zurück. Ich machte mich ans Werk.
„Mach mal Musik.“ rief ich Bruno zu. Er fingerte auf seinem Handy rum und fütterte seine riesige Skatalites-Playlist in die Anlage. So früh am Tag hatte die „Halbe Eule“ noch geschlossen, aber ein Gast saß an einem Ecktisch vor einem Notebook. Das war verdächtig. Normalerweise drehen unsere Gäste Joints oder streichen Plastiktüten glatt. Keiner tippt hier auf einem Arbeitsgerät rum.
„Das ist schon OK.“ beruhigte mich Bruno. „Arne ist ein alter Kumpel. Der muß nen Bericht schreiben.“
Ich kippte die Speckwürfel in Brunos Pfanne und schlenderte zu dem Gast. Er kratzte sich melancholisch am Stoppelbart. Er roch etwas streng. Was führte er im Schilde? Er sah mich fragend an. Ich fragte ihn, warum er hier in einem stinkenden Handballtrikot säße.
Ja nun…, erwiderte er mit einem verlegenen Grinsen. Die hätten in Farmsen leider keine Duschen in der Halle gehabt. Geschlossen. Wegen Legionellen. Dumme Sache, das. Käme alles von der Pandemie. Er musterte mich kurz und sah dann wieder auf den Bildschirm. Er wirkte niedergeschlagen. „Tyler!“ rief es aus der Küche. „Wir sind hier noch nicht fertig.“
Bruno hatte ein paar fragwürdige Zwiebeln auf den Tisch gelegt. „Die weichen Stellen kannst du abschneiden. Aber nicht zu großzügig.“ wies er mich an. „Am besten vor dem Schälen.“ Beim Versuch, die erste Zwiebel aufzuschneiden, drückte ich nur stinkenden Saft auf das Brett. Bruno gab mir ein schärferes Messer. Ich war angewidert. „Das ist das kriminellste, was ich je getan habe!“ rief ich zum Herd. „Was für ein Schweinkram!“
„Als dein Bewährungshelfer befehle ich dir, die Klappe zu halten und diese Scheiß-Zwiebeln zu schneiden!“ raunzte Bruno zurück. „Und zwar ein bißchen pronto! Hier brutzelt’s schon.“
Bruno mühte sich mit dem gammligen Dosenöffner an ein paar Büchsen stückiger Tomaten von der Lidl-Hausmarke ab. Der Speck war mittlerweile kross angebraten und sah fast lecker aus. Bruno wischte zwei Drittel der Zwiebeln in die Pfanne; der Rest war selbst ihm zu eklig.
Das Zischen und der Zwiebelduft lockten unseren Gast an. „Das riecht aber lecker!“ wanzte er sich an Bruno ran. Der kratzte etwas von dem krossen Gammelfleisch auf einen Löffel, dazu ein paar von den Zwiebeln, die schon vor dem Anbraten braun gewesen waren, und bot es Arne mit großer Geste an.
„Köstlich!“ meinte der. „Fast wie zuhause. Das rettet den Tag ein bißchen.“ Dann sei es wohl nicht so gut gelaufen, erkundigte sich Bruno, während er verstohlen ein sehr großes, sehr weiches Zwiebelstück zerdrückte.
Nicht so gut gelaufen sei gar kein Ausdruck, jammerte Arne. Katastrophal sei’s gewesen. Ein Offenbarungseid. Komplette Hilflosigkeit. Ob er noch ein Löffelchen haben könne.
Dann wollte er Whisky. „Nicht den Lagavulin!“ knurrte ich Bruno zu. „Das ist meiner.“ Arne gab sich mit einer Flasche Aberfeldy zufrieden und ging zurück an seinen Platz.
Bruno kippte die Tomaten in die Pfanne („Nicht zuviel auf mal, sonst blubbert’s zu doll.“) und drückte mir eine Knolle Knoblauch in die Hand: „Schälen und halbieren. Fünf Zehen.“ Der Knoblauch war noch weicher als die Zwiebeln, beklagte ich mich. „Herrgottnochmal! Hau mit dem Hammer drauf.“ kam es zurück.
Ich kratzte die Knoblauchmatsche in ein Glas und brachte sie an den Herd. „Was wird das eigentlich?“ fragte ich. „Nudelsoße natürlich.“ sagte Bruno. „Du kannst schonmal ein paar Nudeln aus dem Keller holen.“
Der Keller lag unter einer Bodenklappe hinter dem Tresen. Er war bis obenhin mit Nudelpackungen vollgestopft. Was das denn solle, fragte ich Bruno, daß der halbe Keller voller Nudeln sei. Etwas verlegen murmelte Bruno etwas von einem Sonderangebot und einer guten Gelegenheit. Und im Gegensatz zu Zwiebeln würden Nudeln ja nicht schlecht.
Und was er mit dem Klopapier wolle, das die andere Kellerhälfte ausfüllte, hakte ich nach. Das sei ein unglückliches Termingeschäft gewesen, wurde Bruno pampig, und ich solle jetzt endlich die Nudeln rüberbringen. Er kippte drei Pfund in einen großen Topf mit kochendem Wasser.
Arne kam angewankt, die deutlich angebrochene Flasche in der Hand. Er müsse da was klarstellen, sagte er. Das sei erst nach der Halbzeit so schlimm geworden. Weil – so schlecht seien sie eigentlich gar nicht. „Der eine hat sogar gesagt, wir hätten ne ‚verfickt geile Abwehr‘. Wörtlich. Hatten wir auch. Sogar ganz lange.“
„Aber in der der zweiten Halbzeit hatte Farmsen auch ne geile Abwehr, was?“ fragte Bruno mit einem Stirnrunzeln. Arne nickte bedröppelt und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. „Laß mich raten...“, meinte Bruno und rieb sich schlaumeierhaft das Kinn. „Die sind in der zweiten Hälfte einfach am Kreis geblieben und ihr wußtet nicht, wohin.“
Nönönö, so sei das nicht gewesen, verwehrte sich Arne. Einer sei da immer im Weg rumgerannt. Nur die anderen fünf, also die… ja, die… ja, die wären wohl tatsächlich hintengeblieben. „Und wir immer: BUMM! Drüber. Oder: BATSCH! Auf den Torwart. Oder: UPS! Ball verloren.“ „Und dann die Konter“ ergänzte Bruno, die Soße rührend, jaja, das sei ein Klassiker. Arne trug den Aberfeldy an seinen Tisch zurück. Heute würde der nix mehr schreiben.
Bruno goß die Nudeln etwas früher ab, kippte sie in den Topf zurück und die Soße drüber. „Für wen ist das eigentlich?“ fragte ich. Er würde ja wohl hoffentlich nicht erwarten, dass ich von dem Zeug esse – Bewährungshelfer hin oder her.
„Das ist für die libertäre Gründerinitiative Brigittenstraße“ belehrte er mich. „Die richten hier die Wahlparty der FDP St. Pauli aus.“ Aber die Wahl sei doch erst in einer Woche, wandt ich ein. Bruno grinste schäbig. „Ich mach den Deckel drauf. Wird schon halten.“ Und er kippte aus einem Blechkanister einen sehr üppigen Schuß Olivenöl in den Topf.
„Habtihrwaszuessn?“ tönte es hinter uns. Unter Verlust eines Schuhs hatte Arne sich in die Küche geschleppt. „Nurn kleines Tellerchen“ zeigte er mit zwei Fingern an.
Bruno setzte ihn an den Küchentisch und gab ihm ein Schälchen mit Nudeln und einen Löffel. „Lätzchen braucht’s wohl nicht.“ bemerkte er mit einem Blick auf die stinkende Handballkluft. „Dassis meine Rettung.“ schmatzte Arne. „Undaswarauch nich fair, das der Hund den Ball gefressn hat.“ grummelte er vor sich hin. „Rennt einfach aufs Feld und frißt den Ball. Und mit dem andern Ball hamm wir dann garnich mehr getroffm.“ „Derwarschuld, der dumme Hund...“ murmelte er im Einschlafen.
„Ich mach das.“ sagte Bruno. „Geh du mal nach Hause.“
Darußen war noch Tag. Bei Tag hatte ich die Stadt jahrelang nicht gesehen. Auf der anderen Straßenseite war ein Werbeplakat für den Otto-Versand. „Zusammensein ist ein toller Ort“ stand drauf. Da kann man nix gegen sagen, dachte ich. Die Welt ist alles, was der Fall ist.

(arne)

Es spielten: Malte S., Nils, Moritz „Mo“ S., Michael „Michi“ H., Michael „Michel“ S., Moritz „Wuttich“ W., Holger, Max „Borsti“ B., Jonas, Arne, Malte J., Benedict, Sören „Zecke“ M.
Bank: Felix, Wilde

Zurück