2023-12-13 00:34

FC St. Pauli 5 – Rellinger TV 2 20:20 (8:8)

9.12.2023, 14:00, Buda

 

Taktik

Ich bin auf den Beinen, ich hab keine Schmerzen
Ich bin bei Verstand, ich hab nichts mit dem Herzen
Ich kann mich bewegen, ich muss mich nicht quälen
Und ich kann Eins und Eins zusammenzählen

Die Sterne – Wahr ist, was wahr ist.

„Das wollten wir so!“ rief ich. „Genau so wollten wir das!“

„Aber kuck doch mal hier.“ meinte Hübner in leicht paternalistischem Ton. Der Kerl ist fünfundzwanzig Jahre jünger als ich!

Er schob einen virtuellen Regler auf dem Videotisch ein wenig hin und her, bis er die eine Szene fand, wo wir in Ballbesitz waren und Rellingen in ungeordnetem Rückzug. Mit einigen schnellen Strichen des Zauberstifts markierte er einen freien Bereich zwischen den zurücklaufenden Rellingern, der sich sofort mit einem Riffelmuster füllte. Dann malte er einen Kreis um Piet und tippte auf Holger. „Wenn Nummer 10 hier den Paß nach rechts sucht auf Nummer 5, …“ – damit meinte er Mo – „.., dann kann der ...“ – ein weiteres Tippen ließ den Ball zu Mo laufen – „… den schnellen Paß in den freien Raum spielen und …“ – mit diesen Worten malte er einen Pfeil, auf dem Piet wie an der Schnur gezogen mitten in den geriffelten Bereich rutschte – „… Nummer 21 ist frei durch!“ – ein weiteres Tippen bugsierte den Ball zu Piet, der sich über den gelungenen Paß sichtlich freute.

Das Publikum in der „halben Eule“ war beeindruckt ob soviel technischer Brillanz und Hübner warf sich stolz in die Brust. „Das ist hier aber nicht so einfach wie bei euch Fußballern.“ sagte ich, um irgendwas zu sagen. „Ihr mit euren Flachpässen habt ja praktisch ein zweidimensionales Spiel. Handball ist dreidimensional!“ Ein Raunen ging durchs Publikum. „Und in voller Bewegung einen Ball zu fangen, das ist nicht so einfach. Und wenn der in der Vorwärtsbewegung flötengeht – dann gute Nacht, Marie.“

Hübner gab sich unbeeindruckt. „Unser Publikum will Dynamik. Da kommen wir mit solchem Angsthasenhandball nicht weit.“ „Ihr habt da hinterm Deich in Hetlingen ja gar keine Ahnung vom Handball.“ schleuderte ich ihm entgegen. „Unser Publikum versteht die taktischen Finessen.“ Mit diesen Worten schob ich das Bild auf dem Videotisch etwas zur Seite und malte einen Kringel um Joni und Michi, die auf der Tribüne saßen. Die beiden blickten auf und streckten mir begeistert die Daumen entgegen. Es ist schon toll, was die künstliche Intelligenz heutzutage alles kann.

„Und warum wolltet ihr das so?“ fragte Hübner leicht genervt.

„Weil wir keine 50 Buden fangen wollten – deshalb!“ gab ich zurück. „Die machen 37 Tore pro Spiel und zuletzt 42 gegen Altona!“ „Altona“ grunzte Hübner verächtlich. „Ja, … – trotzdem!“ rief ich. „Da braucht es einen Matchplan, wenn man nicht untergehen will. Da braucht es eiserne Disziplin und gute Nerven.“ Das Publikum wiegte wissend die Köpfe. Hübner verlangte Details.

Durch wirres Rumschubsen des virtuellen Reglers suchte ich eine passende Szene raus: Rellingen in Ballbesitz; wir im wohlgeordneten Rückzug. Mit schnellen Strichen skizzierte ich unsere Laufwege. Aus dem Publikum ertönte anerkennendes Raunen. „Die laufen doch alle einfach schnurgerade nach hinten.“ nölte Hübner. Da gehörten sie ja wohl auch hin, gab ich souverän zurück. „Das ist nicht so ein Durcheinander wie aufm Fußballfeld.“

Dann demonstrierte ich anhand der folgenden Szene das Zusammenwirken der Abwehr. Gekonnt ließ ich den Ball durch die Rellinger Reihen flitschen und schob jedesmal unsere Abwehr schön geordnet am Sechsmeter hinterher. Da war kein Durchkommen, das mußte auch Hübner zugeben. „Und wenn er hier jetzt einen Schritt rausmacht …“ begann ich, als der Ball auf unserer rechten Seite ankam, und malte einen Kreis um Mo. Der gemalte Kringel plumpste samt Mo in den Keller. Mos Gegenspieler ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, rannte durch die Lücke und warf ein Tor.

„Zu fest aufgedrückt.“ grinste Hübner auf meinen verdatterten Blick hin. „Ist mir auch schon passiert.“ Er machte unten am Tisch eine Klappe auf und zog den schimpfenden Mo am Schlafittchen hervor und setzte ihn zurück auf den Videotisch. Sofort reihte Mo sich wieder in die Abwehr ein. Wirklich irre, diese KI.

„Und vorne …“ begann ich oberlehrerhaft, „… vorne geht’s nicht um Spektakel, sondern um Sicherheit. Um Ruhe.“ Ich pickte ein paar Szenen raus, in denen wir nach dem passiven Vorwarnzeichen („danach sind noch vier Pässe möglich“ hätte Florian Naß doziert) zum Abschluß kamen. „Das hat die Rellinger kirre gemacht!“ Zum Beweis ihrer flatternden Nerven zeigte ich nacheinander die vier Siebenmeter von Rellingen: übergetreten, gehalten, verworfen, gehalten. Ein paar rockige Riffs, die ich per Knopfdruck dazumischte, brachten das Publikum ordentlich in Fahrt.

„Bei all der Taktik …“ warf Hübner schlaumeiernd ein und schnappte sich die Kontrolle über den Tisch, „ … ist mir eins aufgefallen.“ Er positionierte auf einer Szene, die uns im Angriff zeigte; der Ball war irgendwo im Rückraum. Dann schlug er seitlich kräftig gegen den Tisch. Alle Spieler purzelten zu Boden und blickten böse zu uns auf. Alle bis auf Pierre. Der sammelte den Ball ein, der mehr oder minder unkontrolliert auf ihn zuhoppelte, zwinkerte uns kurz zu und versenkte ihn im Rellinger Tor. Mit dieser KI muß man sich echt mal tiefer beschäftigen, dachte ich.

„Nimm’s mir nicht übel,“ sagte Hübner, „aber gefühlt die Hälfte eurer Tore habt ihr gemacht, indem ihr den Ball im 9m-Raum habt fallen lassen und euer Kreisläufer ist da irgendwie drangekommen und Peng!“

Da hatte er einen Punkt. Eine gute Taktik, belehrte ich ihn, orientiert sich halt immer am verfügbaren Spielermaterial.

 

(arne)

Es spielten: Kurt (Tor), Marco (Tor), Nicolas, Nils, Mo, Michael „Michel“ S., Holger, Pierre, Marvin, Luis, Piet, Simon, Bene, Sepp; auf der Bank: Felix (Coach), Arne (kein Coach)

 

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